Nation and Modernity. The East European Metropolis (1890-1940) II

Nation and Modernity. The East European Metropolis (1890-1940) II

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut Warschau (DHI Warschau); Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
Ort
Warschau
Land
Poland
Vom - Bis
15.05.2009 - 16.05.2009
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Von
Felix Westrup, Abteilung für Geschichte Osteuropas und Südosteuropas, Ludwig-Maximilians-Universität München

Eine vergleichende Betrachtung osteuropäischer Metropolen in den Krisenjahren der Klassischen Moderne zwischen 1890 und 1940 zu unternehmen, hatten sich die beiden verbundenen, von Martin Kohlrausch (DHI Warschau) und Jan C. Behrends (WZ Berlin) organisierten und durch die Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung ermöglichten Workshops "Nation and Modernity - The East European Metropolis" zum Ziel gesetzt. Ausgehend von als gemeinsam angenommenen regionalen Strukturmerkmalen – dem imperialen bzw. postimperialen Kontext der osteuropäischen Metropolen, den geteilten ökonomischen Problemlagen, der in der Regel hohen ethnischen Diversität und der durchgehend starken Rolle des Staates – sollte nach Parallelen in den jeweiligen Urbanisierungsverläufen gefragt sowie das Verhältnis zum westeuropäischen Referenzmodell geklärt werden. Im Mittelpunkt des ersten Zusammentreffens in Berlin im Oktober vergangenen Jahres hatten Fragen des sozialen und ethnischen Konflikts sowie nach den Spezifika osteuropäischer Modernität gestanden. Der Fokus des hier wiedergegebenen zweiten Teils der Tagung in Warschau lag nun auf den Gegenständen Planung und Infrastruktur sowie Kommunikation und Wissenstransfer.

In seinem Einleitungsreferat konzentrierte sich DIETER SCHOTT (Darmstadt) zunächst auf die zahlreichen technischen und institutionellen Modernisierungsprojekte der Zeit zwischen 1890 und 1940. Einführung und Ausbau etwa der Gasbeleuchtung, der sanitären Systeme, des Stromnetzes oder der Straßenbahn hätten den Einsatz enormer Ressourcen und damit gleichzeitig die Schaffung von Institutionen zu deren planerischer Koordination erforderlich gemacht. Den Stadtplanern habe um 1900 ein gut gefüllter technischer und konzeptueller "Werkzeugkasten" zur Verfügung gestanden über dessen Nutzung sich ein internationaler Planungsdiskurs entwickelt habe. Schott wies darauf hin, dass dieses Modell der Forschung vor allem am westeuropäischen "Standard" orientiert sei und osteuropäische Städte im Forschungsdiskurs in der Regel verallgemeinernd unter das Paradigma "nachholender Modernisierung" subsummiert würden. Hier bestünden deutliche Defizite in der Betrachtung von einzelnen Fällen und Detailfragen, woraus sich auch die Perspektive der Tagung ergäbe. In der Diskussion ergänzte Schott seinen Vortrag dahingehend, dass beim Blick auf Metropole, Nation und Moderne natürlich nicht nur nach der technischen, sondern auch nach der sozialen Infrastruktur der Städte und nach kulturellen Phänomenen gefragt werden müsse.

Letztere Perspektive stand dann auch gleich im folgenden ersten Vortrag der Sektion "Infrastructure, Planning and East European Urbanism" im Mittelpunkt: THEODORE WEEKS (Carbondale) behandelte in seinem Beitrag die symbolische "Polonisierung" des multiethnischen Vilnius' in der Zwischenkriegszeit. In einer Reihe von Beispielen präsentierte Weeks Techniken der polnischen Bevölkerungsgruppe, urbanen Raum als "polnisch" zu definieren, etwa durch die Umbenennung von Straßen und Plätzen, die Planung von Denkmälern, durch diskursive Praktiken in Reiseführern und Kulturzeitschriften oder auch durch den Versuch, mit der Stefan-Batory-Universität eine intellektuelle "Bastion polnischer Kultur" zu etablieren. Weeks wies darauf hin, dass dieser "polnische" öffentliche Raum nicht als ein per se ausschließender konzipiert gewesen sei, sondern durchaus als ein Raum der Interaktion mit den anderen Bevölkerungsgruppen. Dies allerdings, so der laut Weeks entscheidende Punkt, immer unter der Voraussetzung, dass diese die Bereitschaft zur Anerkennung der angestrebten polnischen kulturellen Hegemonie zeigen würden. LAURA KOLBE (Helsinki) nutzte anschließend umfangreiches Bildmaterial, um durch die in der heutigen Erscheinung Helsinkis manifestierte Planungsgeschichte der Stadt zu führen und auf deren vielfältige Einflussfaktoren hinzuweisen. Dabei zeichnete sie das Bild einer späten, aufgrund des schwachen Industrialisierungsgrades und des imperialen Einflusses stark behördlich geprägten Urbanisierung. In der nach 1917 neu angenommenen Rolle als Hauptstadt eines unabhängigen Finnland habe die Symbolik des öffentlichen Raums von der älteren imperialen in eine neu zu definierende nationale überführt werden müssen, wobei der Blick auf den internationalen Planungsdiskurs einen wichtigen Einflussfaktor dargestellt habe. In seinem Kommentar stellte JACEK PURCHLA (Krakau) die Frage, ob der komplexen Ethnizitätsproblematik mit örtlich und zeitlich eng begrenzten Fallstudien wie der von Weeks vorgestellten wirklich angemessen zu begegnen sei, oder ob nicht gerade die ostmitteleuropäische Spezifik der dynamischen politischen Herrschaftswechsel immer auch einen Blick auf die längere Dauer erforderlich mache. Helsinki ordnete Purchla als interessanten Fall vor allem vor dem Hintergrund der imperialer Geschichte ein. Die Stadt stelle dabei ein besonderes Beispiel gelungener konsensualer Ablösung und Emanzipation dar.

Im zweiten Teil der Sektion stellte ANDREAS FÜLBERTH (Kiel) die in den Jahren 1920 bis 1940 geführte Planungsdiskussion um das Zentrum Tallins vor. Fülberth fragte nach Wendepunkten in der Debatte und nach deren möglicher Verbindung zum politischen Wandel, insbesondere zum Staatsstreich von 1934. Im Ergebnis zeige sich eine Entwicklung, in der viel geplant und wenig umgesetzt worden sei, wobei die Radikalität der Entwürfe schon ab 1928 wieder nachgelassen und der politische Einschnitt kaum eine wahrnehmbare Spur im Diskurs hinterlassen habe. ELENI BASTEA (Albuquerque) präsentierte eine Studie über das Athen der Regierungszeit Georgs I. (1863-1913), in der sie dem Prozess nachspürte, der die Stadt in dieser Zeit „von einem osmanischen Dorf zur eleganten Hauptstadt der heranwachsenden griechischen Nation” habe werden lassen. Bastéa stellte eine starke politisch-symbolische Komponente heraus, die diesen Prozess angetrieben habe, nämlich das geteilte Bedürfnis, als Nation „europäisch” zu werden, wozu die architektonisch, technisch und ökonomisch aufgefasste„Europäisierung” der Hauptstadt als vorrangig betrachtet worden sei. In Hinterhöfen und Seitenstraßen sowie im Habitus der Bewohner sei die osmanische Vergangenheit jedoch noch lange präsent geblieben und habe, dies werde beispielsweise aus Reiseberichten deutlich, dem Betrachter ein gebrochenes Bild der angestrebten „europäischen” Modernität geboten. In seinem Kommentar bemerkte CHRISTOPH GUMB (Berlin), dass eine Ausweitung der Forschungsperspektive auf die Wahrnehmungsseite des öffentlichen Raums, wie in der Untersuchung von Bastéa geschehen, einen wichtigen Gegenpart zur Geschichte der Planungen darstelle. Denn schließlich seien Charakter und Bedeutung der modernisierten Stadträume nicht universell vorauszusetzen, sondern kämen in ihrer jeweiligen Spezifik erst lokal zustande, eben durch die lokal zugeschriebenen Sinngehalte. Der Blick für unterschiedliche, möglicherweise auch an einem Ort konkurrierenden Annahmen von Moderne und Modernität werde in einer solchen Betrachtungsweise geschärft.

In der zweiten Sektion "Transnational Communication and Transfer of Knowledge" setzte sich zunächst HEIDI HEIN-KIRCHER (Marburg) mit konkurrierenden Strategien ethnischer, konfessioneller und sozialer Gruppen in Lemberg / Lwów / L'viv auseinander, den städtischen Kommunikationsraum zu prägen. Im Mittelpunkt stand dabei der Konflikt zwischen der polnischen und der ruthenischen Bevölkerung. Erstere sei zahlenmäßig, sozioökonomisch und besonders durch den Zugriff auf die Stadtverwaltung privilegiert gewesen und habe dies genutzt, um die rechtlichen, infrastrukturellen und kulturpolitischen Modernisierungsvorhaben der Stadt mit einer „polnischen Kartierung” des Raumes zu verbinden. Die Ruthenen seien demgegenüber auf private Initiativen angewiesen geblieben, was zu häufigen Konflikten mit der städtischen Politik und zum Teil auch zu Gewalttätigkeiten geführt habe. Als ein zum Verständnis dieses Konflikt wichtiger Faktor müsse die von den Habsburgern gewährte politische und kulturelle Autonomie Galiziens gesehen werden, aufgrund derer Lemberg von der polnischen Nationalbewegung eine Vorreiterrolle im Kampf um die nationale Selbstbestimmung zugeschrieben bekommen habe. Das gern gepflegte mythisch verklärte Lemberg-Bild einer „Stadt der verwischten Grenzen” lasse sich insgesamt nicht aufrecht erhalten. MARTIN KOHLRAUSCH (Warschau) präsentierte anschließend eine Studie über die Stadtplanung im Warschau der Zwischenkriegszeit. Ausgehend von älteren städtebaulichen Versäumnissen und verstärkt durch die demographische Entwicklung und die Erfordernisse der neu zu erfüllenden Hauptstadtrolle, habe in Warschau nach dem Ersten Weltkrieg ein enormer Problemlösungsdruck geherrscht, dem die Stadtplanung mit großem Ressourceneinsatz und innovativen planerischen Instrumenten zu begegnen versucht habe. Hieraus hervorgegangen sei mit dem 1934 vorgestellten „Warszawa Funkcjonalna” eines der bis dahin radikalsten Konzepte der Stadtplanung überhaupt. Indem er die transnationale Dimension mit einbezog, konnte Kohlrausch hieraus eine interessante Wendung des schon in den vorangegangenen Vorträgen zentralen Arguments der symbolischen Dimension von Planungsvorhaben entwickeln: Der Radikalismus der Warschauer Planer, so Kohlrausch, sei erst aus deren Orientierung am transnationalen Kommunikationsumfeld des Neuen Urbanismus heraus zu erklären. Er sei wenig praktisch motiviert gewesen, sondern müsse als überkompensatorische Strategie aufgefasst werde, die in der Selbstwahrnehmung bestehende Marginalität in diesem Diskurs zu überwinden. MALTE ROLF (Hannover) betonte in seinem Kommentar noch einmal die zentrale Rolle der Akteurswahrnehmung für das Verständnis der Spezifika osteuropäischer Stadtmodernisierungen. Mit Blick auf die Fallstudien werde zwar einerseits deutlich, wie sehr die lokalen Prozessverläufe jeweils von den Orientierungen und Prioritäten zentraler Akteursgruppen abhängig gewesen seien, als gemeinsam trete jedoch immer wieder die Positionierung zu einem in den westlichen Metropolen identifizierten „Modernitätsvorbild” auf. Gefragt werden könne demnach, inwiefern die Zeitgenossen eigentlich auch umgekehrt mit Konzepten des spezifisch „östlichen” Charakters ihrer Modernisierungsherausforderungen hantiert hätten; weiterhin, inwiefern aus solcher Wahrnehmung möglicherweise auch Netzwerke der Problemkommunikation und des Wissensaustausches entstanden seien.

Der zweite Teil der Sektion begann mit einem Vortrag von ULRIKE VON HIRSCHHAUSEN (Hamburg), die sich mit den Einflüssen transnationaler Kommunikation auf die Stadtentwicklung Rigas beschäftigte. Hierbei zu beobachtende Besonderheiten – die frühe Präsenz moderner Sozialpolitik, die Entwicklung einer starken lettischen Sozialdemokratie und die erfolgreiche Industrialisierung – seien maßgeblich zu erklären über die aus dem multiethnischen Charakter der Stadt folgende dichte transnationale Kommunikationseinbindung, so von Hirschhausen. Der traditionellen Einordnung osteuropäischer Städte als in ihrer Entwicklung hauptsächlich staats- und wenig gesellschaftsbestimmt müsse somit in diesem Fall widersprochen werden. Unter Umständen könne es sich als sinnvoll erweisen, in der Klassifizierung zwischen zentral- und osteuropäischen Städten zu differenzieren. Die letzte Präsentation der Tagung hielt ELITZA STANOEVA (Sofia / Berlin) zum Thema des Wahrnehmungswandels gegenüber „orientalischem” und „europäischem” Städtebild während des Ausbaus Sofias zur bulgarischen Hauptstadt. Die ab 1878 erlangte nationale de-facto Souveränität habe zunächst durch eine als Europäisierung aufgefasste Modernisierung des Stadtbildes und der städtischen Infrastruktur symbolisch nachvollzogen und gefestigt werden sollen, ganz ähnlich zu dem von Eleni Bastéa in der vorangegangenen Sektion präsentierten Fall Athens. Mit der Proklamation des unabhängigen bulgarischen Königreiches im Jahr 1908 habe jedoch eine Suche nach nationaler Authentizität eingesetzt und es sei zu einer bemerkenswerten „Wiederentdeckung” der orientalischen Formen gekommen, indem diese nun nicht mehr als osmanisch sondern als ursprünglich bulgarisch interpretiert worden seien. Anteil daran habe nicht zuletzt die sich zunehmend organisierende und professionalisierende Gemeinschaft bulgarischer Architekten und Ingenieure gehabt, für die der Topos nationaler Authentizität auch eine Durchsetzungsmöglichkeit gewesen sei, im Wettbewerb mit den aus der osmanischen Tradition heraus noch stark dominierenden ausländischen Experten. MACIEJ JANOWSKI (Warschau / Budapest) machte in seinem Kommentar noch einmal das bereits von Christoph Gumb und Malte Rolf in ähnlicher Form vertretene Argument der Zuschreibungen als wichtigstem Aspekt zum Verständnis der untersuchten Modernisierungsvorhaben stark. Natürlich hätten technisch verstandene infrastrukturelle und ökonomische Aspekte keine unwichtige Rolle gespielt, aber ebenso wichtig sei in dem zwischen den osteuropäischen Metropolen veranstalteten „Wettlauf um Modernität” das Streben lokaler Eliten nach nationaler Selbstdefinition und internationaler Anerkennung gewesen. Viele Planungsentscheidungen seien historisch überhaupt erst aus einer solchen Betrachtung heraus nachvollziehbar.

Die in der Konzeption der Tagung angenommenen gemeinsamen Strukturmerkmale osteuropäischer Metropolen konnten durch die Fallstudien in ihrer Bedeutung für die jeweiligen Urbanisierungsprozesse weitgehend bestätigt werden. Daneben kann es als ein wesentliches Ergebnis der beiden Workshops gesehen werden, auf die Zentralität eines an westlichen Referenzdiskursen orientierten „Wettlaufs um Modernität” aufmerksam geworden zu sein, welcher lokal wiederum mit weiteren, oft durch wichtige Akteursgruppen geprägten Bedeutungszuschreibungen aufgeladen wurde. Damit zeigte sich das von Dieter Schott im Einleitungsreferat kritisierte Forschungsparadigma nachholender Modernisierung in seiner technologisch-ökonomischen Grundausrichtung tatsächlich als zu eingeschränkt. Gerade die diskursive Dimension der Modernisierungsvorhaben erschien in den vorgestellten Studien immer wieder als prägend. Es wurde deutlich, dass der Modernisierungsprozess in den untersuchten osteuropäischen Metropolen seinen spezifischen Charakter und große Teile seiner Dynamik vielerorts daraus bezog, als symbolisches Vehikel zur nationalen bzw. ethnischen Sinnerzeugung und -vermittlung genutzt worden zu sein.

Konferenzübersicht:

Jan C. Behrends / Martin Kohlrausch: Introductory Remarks

Dieter Schott: Introductory Paper and Discussion

Panel III: Infrastructure, Planning and East European Urbanism

Theodore Weeks: Creating Polish Wilno 1919-1939

Laura Kolbe: An Eastern or Western Capital City? The Spirit of City Planning in Helsinki

Jacek Purchla: Commentary

Andreas Fülberth: The Centre of Tallinn 1920-1940: Have there been any Turning Points in the Process of Discussing its Infrastructural and Architectural Development?

Eleni Bastea: Athens under King George I (1863-1913): Capital of a Model Kingdom for the East?

Christoph Gumb: Commentary

Panel IV: Transnational Communication and Transfer of Knowledge

Heidi Hein-Kircher: Clash of Symbols in an Urban Space: Competing Strategies of Creating an Urban Space of Communication in Lvov

Martin Kohlrausch: 'Warszawa Funkcjonalna'. Radical Urbanism and the International Discourse on Planning in the Interwar Period

Malte Rolf: Commentary

Ulrike von Hirschhausen: Riga: The Limits of Multi-Culturalism. Conflict and Cooperation in Multi-Ethnic Riga (1860-1918)

Elitza Stanoeva: The Changing Perception of 'Oriental' and 'European' Urbanism in the Modernization of Sofia as a National Capital City (1879-1939)

Maciej Janowski: Commentary


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